Buch der Masken
Rachel
16.11.2009 - 09:37

Geprägte

(dargestellt von Sarah)

"Ich verzichte auf alle Weisheit, die nicht weinen,
auf alle Philosophie, die nicht lachen,
auf alle Größe, die sich nicht beugen kann
- im Angesicht von Kindern."
(Khalil Gibran)

"Was eine Kinderseele aus jedem Blick verspricht!
So reich ist doch an Hoffnung ein ganzer Frühling nicht."
(August Heinrich Hoffmann von Fallersleben)

"Zwei Dinge sollen Kinder von ihren Eltern bekommen: Wurzeln und Flügel."
(Johann Wolfgang von Goethe)

"Drei Dinge sind uns aus dem Paradies geblieben:
die Sterne der Nacht, die Blumen des Tages
und die Augen der Kinder."
(Alighieri Dante)


Eine Tochter! Sie hat eine kleine Tochter bekommen! Wie gerne würde ich sie beide in die Arme schließen...

Ich hoffe, sie tut das Richtige für sich und meine kleine Enkelin.
(Syndala, Oktober 2007)



Ja, die kleine Sarah. Sie ist schon ein Schatz. Keines unserer eigenen Kinder hatte ein derart sonniges Gemüt. Sie lacht so oft. Schon wenn sie morgens aufwacht, lächelt sie mich an. Ich liebe sie wie meine eigene Tochter, und bin so froh, dass Pia sie bei uns gelassen hat. Auch wenn ich das nach wie vor nicht verstehe. Warum hat sie sie nicht bei sich behalten? Wie kann sie ein so sonniges Kind nur abgeben? Natürlich hat sie Recht, bei ihrer Arbeit hat sie kaum Zeit für die Kleine und sie nur von einer Tagesmutter betreuen zu lassen, ist doch kein Vergleich zur eigenen Familie. Aber dennoch, so richtig verstehe ich es nicht. Sie sagt, Sarah kann hier eher mit ihren jüdischen Wurzeln verwachsen und Teil unserer Kultur werden. Zugegeben, da hat sie Recht, man sieht ja, was aus Pia selbst geworden ist. Keinerlei Respekt mehr vor ihren Wurzeln, keinerlei Wertschätzung ihrer Kultur...

Und, was grüble ich überhaupt nach? Was soll's schon, das kleine Sonnenkind ist bei mir und Pia zurück in Deutschland!
(Hannah Goldenberg, März 2009)



Meine Frau hat sie angenommen wie ihre eigene Tochter. Die Tochter von dieser Pia. Ein Bastard. Ich bin mir sicher, dass der Vater KEIN Jude ist. Sie sagt uns ja nicht, wer der Vater ist, behauptet, es nicht zu wissen. Unglaubwürdig. Und sie selbst schon derart von ihrer Kultur entfremdet, absichtlich. Sie hätte ja damals, nach dem Tod ihres Vaters zurück nach Israel kommen können, aber nein, sie blieb in dem verdammten Land und wurde... das was sie ist.

Aber sie ist halt doch Familie meiner Frau und man muss ja Verantwortung tragen. Wir werden ja sehen, was aus der kleinen Sarah wird.
(Isaak Goldenberg, März 2009)



Ich habe das erste Jahr mit ihr genossen. In tiefen Zügen und der herzlichen Liebe einer Mutter. Vor allem gerade weil ich wusste, dass ich sie nach diesem Jahr nur noch sehr selten würde sehen können. Und weil sicher irgendwann der Zeitpunkt kommen würde, dass sie sich nicht mehr an mich erinnern könnte. Gut für sie. Im Gegensatz zu mir müsste sie nicht mit dem Schmerz leben, ihre Mutter verloren zu haben, mit dieser steten Ungewissheit, wo sie sein könnte. Oder was sie geworden sein könnte?

Obwohl die Familie sicher oft von mir erzählen würde, aber was solls SIE würde sich zumindest nicht an mich erinnern.

Die Gefahren wären ohnehin zu groß, wenn ich sie bei mir behalten hätte. Zu viele Feinde, zu viele, die eine Schwäche erkennen und nutzen könnten. Es ist besser so, obwohl ich sie von ganzem Herzen liebe und sie an jeden Tag meiner Existenz vermissen werde.

Ich werde sie beobachten, zusehen wie sie größer wird, sehen, wie sie sprechen und schreiben lernt, sich später vielleicht verliebt, vielleicht irgendwann eigene Kinder bekommt. Ich werde sie beobachten, sehen, wie sie im Hof des Familienanwesens spielt, hören wie ihr helles wunderschönes Lachen von den Wänden des Hauses schallt...

Aber ich werde sie nicht mehr besuchen, nie mehr mit ihr spielen und lachen, denn sie soll und darf sich nicht an mich erinnern!

Lebe wohl, mein kleiner Schatz, ich wünsche Dir alles Gute und ein glückliches und langes Leben.
(Pia R. Morgenstern, im Januar 2009)]



Aus einiger Entfernung beobachtete ein funkelndes Augenpaar aufmerksam das Geschehen im Haus. Die Worte der Familie erreichten kaum die Ohren des Fremden, doch das spielte keine Rolle, die Sprache konnte er ohnehin nicht verstehen. Niemand bemerkte den Fremden, obwohl er die Familie aus nächster Nähe beobachtete und sich nicht die geringste Mühe gab, sich zu verstecken. Dies war nicht nötig, nicht nur der Schleier der Dunkelheit hielt ihn verborgen.

Seine Augen musterten das Kind aus der Ferne, während sich seine Lippen zu einem leichten Lächeln kräuselten. Das kleine Bündel hatte bereits in seinen Armen gelegen und ihn angelächelt. Noch war das Mädchen zu klein, um den Widerspruch von Wahrheit und Vernunft oder die Grenzen der Logik zu kennen, zu klein, um den Auswirkungen des Schleiers der Ewigkeit zu unterliegen. Sarah war einfach noch klein genug, um ihn wahrnehmen zu können. Seine Tochter war nicht vom Schicksal geprägt worden, das war ihm klar. Zumindest noch nicht.

Er respektierte und unterstützte Pias Wunsch, ihre gemeinsame Tochter fernab vom Hof der Nacht aufwachsen zu lassen und ihr ein ganz normales Leben zu schenken. Doch er gab sich keinen Illusionen hin, Sarahs gewöhnliches und normales Leben war nur gestohlene Zeit, das Schicksal ließ sich nicht betrügen.

Früher oder später würde Sarah vom Schicksal geprägt werden und auch an den Hof der Nacht gelangen. Früher oder später würde seine Tochter vor ihm stehen und nach Erklärungen verlangen. Er hoffte nur aus ganzem Herzen, dass dieser Moment noch in weiter Ferne lag, je später, desto besser. Er hoffte, dass sie bis dahin ein normales und glückliches Leben führen würde. Und er hoffte, dass sie, wenn sie eines Tages dann vor ihm stehen würde, bereit wäre ihm zu vergeben.

"Daddy hat Dich lieb, Sarah mein Schatz", flüsterte der Fremde kaum hörbar. Nach einem letzten Lächeln drehte er sich um und verschwand mit den energischen Schritten eines Raubtieres in der Dunkelheit. Er hatte noch eine weite Reise vor sich und die Morgendämmerung nahte bereits.


Anmerkung: Dieser Eintrag über die Tochter einer Mitspielerin des Hauses Asusena ist natürlich augenzwinkernd gemeint.


Hathor


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