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Introductio Haus Hardenberg
27.07.2004 - 09:11

Die beiden Männer saßen vor dem leise prasselnden Kaminfeuer.

Der eine trug einen Anzug aus leichtem, grauem Stoff. Er hatte die Beine überkreuzt. Sein Oberkörper war erwartungsvoll nach vorn gebeugt und eine kurzstielige Tabakspfeife ruhte schwelend in seiner rechten Hand. Die Hitze des Kamins machte ihm sichtlich zu schaffen: Schweiß stand in einem dünnen Film auf seiner Stirn und sein Atem ging schwer. Sein Blick durch die Gläser einer dünn gerahmten Brille galt seinem Gegenüber. Der Mann von vielleicht dreißig Jahren trug einen schwarzen Gehrock, dessen Schnitt vor etwa zweihundert Jahren als modern gegolten hätte. Sein langes, glattes Haar fiel ihm über die Schultern und seine Hände ruhten bewegungslos auf dem silbernen Knauf eines Spazierstockes. Sein Gesicht war unnatürlich blass, und ein spöttisches Lächeln lag auf den blutleeren Lippen.

Man sagte, es handele sich um Friedrich von Hardenberg, jenen Novalis des ausgehenden achtzehnten Jahrhunderts. Offenbar habe er einen Weg gefunden, nicht nur sich selbst dem Tod zu verweigern, sondern auch seine Geliebte aus dem Reich der Toten zurück in diese Welt zu führen. Zusammen mit selbiger Sophie von Kühn soll er vor wenigen Jahrzehnten in die Region gekommen sein, um ein kleines Schloss in Besitz zu nehmen.

Man sagte ferner, seitdem umgebe des Nachts eine Aura des Unheimlichen das Anwesen. Es scheine mitunter geradezu entrückt, doch in keine sonderlich hospitable Gegend. Ein Nebel liege häufig um das Schloss und Menschen würden sich davon unwillkürlich fernhalten. Bis auf wenige. Man erwähnte auch gelegentliche Schreie.

Schließlich sagte man, seine Begeisterung für den Tod habe nach seinem Ableben recht seltsame Formen angenommen. Es fänden verschiedentlich Rituale statt auf Schloss Hardenberg, die durch und durch thanatologisch seien. Böse Zungen merkten an, Novalis hätte durchaus auch der Begründer der deutschen Nekromantie werden können. Was man nicht alles redete!

Friedrich von Hardenberg sog nach langem Schweigen Luft in seine Lungen. "Um auf Ihre Frage zurückzukommen:" Er strich sich eine Strähne dunklen Haares aus dem Gesicht "Natürlich, mein Freund, Unschuld ist gerade in der modernen Zeit selten zu finden. Heutzutage hat selbst in jungen Jahren bereits manch ein Knabe und Mädchen mannigfaltige Erfahrung in eben jenen Dingen, die die ungewappnete Seele in der heftigsten Weise zu affizieren geeignet sind. Doch ist nicht gerade daher der wahrhaft reine Mensch der lohnenswerteste Preis für die langen Nächte des Hoffens und Suchens?"

Der Mensch führte das Mundstück der Pfeife zwischen seine Lippen und sog daran. Ein beinahe verwirrter Ausdruck stand in seinem Gesicht. Langsam blies er eine Rauchwolke in den dämmrigen Raum. "Darf ich Sie... Darf ich Euer Wohlgeboren dahingehend richtig verstehen, dass Ihre Familie tatsächlich nur Jungfrauen in ihre Reihen aufnimmt?"

Friedrich schmunzelte. "Die Reinheit des Körpers ist nicht notwendigerweise gleich ein Anzeichen für die Reinheit des Geistes, den er beherbergt. Ungeachtet dessen, ist es auch vonnöten, auf eine gleichsam spirituelle Weise für die Ewigkeit bestimmt zu sein. Leben ist bereits der Anfang des Todes. Das Leben ist um des Todes willen. Der Tod ist Endigung und Anfang, Scheidung und nähere Selbstverbindung zugleich. Durch den Tod wird die Reduktion vollendet, und nicht jeder Sterbliche vermag ein Gefäß der Göttlichkeit zu werden." Ein seltsamer Ausdruck trat in seine Augen. "Die Macht meines Blutes kann ebenso gut erschaffen wie... zerstören."

Nervös rieb der Mensch das Bruyère des Pfeifenkopfes einige Male am Stoff der Armlehne. "Gilt das in gleicher Weise auch für die anderen Ihrer Art?" Die Furcht, unüberlegt etwas Falsches gesagt zu haben, durchzuckte ihn im Moment des Sprechens, und ein rascher Blick in Richtung von Hardenbergs offenbarte stechend funkelnde Augen in einem sonst ausdruckslosen Gesicht.

"Andere? Ja, es gibt noch andere." Des Freiherrn Stimme war ruhig, er änderte seine Position im Sessel um eine Wenigkeit und ließ den Blick durch den Raum streifen. "Sehen Sie, werter Freund, die Nacht beherbergt so allerlei. Meine...Verwandten... Sie sind eine weitere Ausprägung der Poesie, die unsre Welt durchzieht. Da wähnt so mancher ein Sonett zu sein, und ist doch bestenfalls ein Limerick. Und so eifrig sind sie bemüht sich zu reimen, dass sie endlich nicht viel auf den Sinn der Worte geben. Nun ist die Sprache eine Welt im Kleinen, hier spiegelt sich der Hymnus und wird offenbar, wird uns das Höchste, das Verständlichste, das Nächste, das Unentbehrlichste. Nur durch Unbekanntschaft mit uns selbst, Entwöhnung von uns selbst entsteht hier eine Unbegreiflichkeit, die selbst unbegreiflich ist." Friedrich schloss die Augen, lächelte freudlos und schüttelte sacht den Kopf. "Kurzum: Die meisten derer, die Sie anzusprechen beliebten, geben sich der fälschlichen Meinung hin, um das Geheimnis ihrer Existenz zu wissen, und haben die Suche längst ganz aufgegeben." Sein Blick lag nun auf dem Gesicht des Sterblichen. "Im Gegensatz zu den Menschen. Und ja, für sie alle gilt, was ich sagte, gleichermaßen."

Der Angesprochene schaute überrascht. "Ich glaube, ich verstehe nicht! Sie schätzen die Menschen also höher als Ihresgleichen?" Das schien ihm schlichtweg undenkbar.

"Seien Sie nicht albern!" Friedrich von Hardenberg runzelte irritiert die Stirn. "Die Möglichkeit des Menschen, zu sich selbst zu finden, ist nur eine Möglichkeit von vielen. Wie wohl der Mensch zu den höchsten Empfindungen sich berufen sehen kann, so mag er ebenso den erniedrigendsten Trieben anheim fallen und sich verlieren. Ich sehe kein Vermögen in Ihrer Art, das nicht ein jedweder der Unsrigen in noch viel höherem Maß besäße. Doch ich sehe ein Potential, das richtige Vermögen zu wählen."

Eine Mischung aus Hoffnung und Zweifel stand im Gesicht des Menschen. "So darf ich hoffen, dass S... Euer Wohlgeboren mein Ansinnen positiv bewerten und mein Potential erproben wollen?" Er rutschte auf dem Sessel bis zur Kante der Sitzfläche vor.

Friedrich von Hardenberg stützte den Spazierstock auf den Boden zwischen seinen Füßen und erhob sich langsam und bedächtig aus seinem Sessel. "Wie ich bereits sagte, es gehört mehr dazu, als guter Wille. Ich sehe zurzeit noch nichts an Ihnen, das Sie vor den andern Menschen auszeichnet. Doch wir werden schon noch sehen, was in Ihnen steckt." Stehend sah er herab in das Gesicht, das seiner Bewegung gefolgt war. Ein Lächeln stahl sich in seine Miene, und diesmal schien es echte Freude zu sein. "Wenn Sie mir folgen wollen, die Familie wartet sicher schon..."



Friedrich


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