Vampir, Haus Magnus
(dargestellt von Uwe Sommerlad)
"Aye, weep for your crimes without number,
The loving and luring of men,
For your greatness is sunken in slumber,
Your light will n'er lighten again."
(Oscar Wilde)
… dieser verdammte Selwyn! Verflucht soll er sein! Könnte ich ihm nur sein maliziöses Lächeln aus dem Gesicht wischen! Auf diesem Lächeln glitt er wie ein Reptil durch die Ausstellung der Royal Academy, begrüßte Wilde mit falscher Herzlichkeit und Beerbohm mit väterlicher Herablassung. Beinahe freundschaftlich wechselte er Worte mit dem Präsidenten, Lord Leighton. Aber es ist nicht Leightons Ruf, sondern dessen Einfluß, den er respektiert.
Die Maske der Falschheit beherrscht niemand mit solcher Vollendung wie Lawrence Edward Selwyn, und hinter jedem scheinheiligen Kompliment versteckt er lediglich die hohe Meinung, die er ausschließlich von sich selbst hat. Wenn Wilde der Brutus der Londoner Künstlerszene ist, dabei, die alten Götter zu stürzen und durch ein neues Verständnis von Kunst zu ersetzen, so ist Selwyn ihr Cassius – stets unzufrieden, so lange jemand höheren Respekt genießt als er selbst, ein kalter, gieriger Kopfmensch – ein Parasit der Kunst, der nur Befriedigung in der Zerstörung besserer, schönerer Gefühle empfindet. Selwyn ist die Schlange im Garten Eden. Wenn er stirbt, dann werden die Künstler der größten Metropole der Welt auf seinem Grabe tanzen, wie die Bürger in Dickens Weihnachtserzählung auf dem Scrooges!
Zweifellos empfindet er sich selbst als Künstler – dabei verstellt seine Gefühllosigkeit und sein Zynismus ihm den Blick auf wahre Schönheit. Wenn Hochmut und Kälte Kunst in sich wären, ja, dann wäre er der Größte von uns; so ist er der Niedrigste. Aber er hat Macht, die Macht der vermaledeiten Presse, und die nutzt er ausschließlich zu seinem Vergnügen, stets bereit, eine Existenz für ein Bonmot zu opfern. Als ich mich erhitzt ihm näherte, das Magazin mit seiner Besprechung in der Hand, kräuselten sich seine Lippen nur zu einem ebenso herablassenden wie selbstgefälligen Lächeln: „Nun, hat Ihnen meine Rezension zugesagt? Ich habe mich zurückgehalten, alter Freund, aber Sie müssen zugeben – es ist ein wirklich schäbiges Elaborat, das Sie da in Druck geben ließen …“ Ich wollte mich auf ihn stürzen, doch jemand hielt mich zurück. Ich konnte meine Tränen nicht mehr zurückhalten, stammelte Beschimpfungen, während man mich nicht unfreundlich, aber bestimmt nach draußen geleitete. Er hat mich zerstört, vernichtet, ausgelöscht. Meine Freunde wenden sich von mir ab, und fremde Leute lachen, wenn sie mich sehen – so wie er gelacht hat, als man mich heute aus der Akademie warf …
(Aus dem letzten Tagebucheintrag des Schriftstellers und Dichters Andrew Melton Butler vor seinem Selbstmord am 23. August 1894) |