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7. Von der Wasserburg Lüttinghof |
28.08.2005 - 20:56 |
Josephines Haus – Mara erzählt...
Das erste Mal sah ich Josephines Haus im tiefen Winter, nach einer langen Reise durch die Gebiete östlich des mächtigen Uralgebirges. So reisten wir von Winter zu Winter. Die Pferde, gutmütige Tiere, die uns eine weite Strecke begleitet hatten, waren erschöpft. Eines lahmte bereits und zitterte unter der Last unserer Habe. Ich zog meine Kapuze dichter ins Gesicht. Wildes Schneetreiben begleitete uns bereits seit Stunden. So wurden die Schritte für unsere Tiere zu beschwerlich und wir mußten abladen. Ich schlug das Lager im Schutz eines Waldes auf und schickte Sinuba, die lange im Wagen geschlafen hatte, mit einer Botschaft zum Ziel unserer Reise.
Sie würde ihren Herrn immer finden, egal, wo er sich aufhielte. Friedrich mochte wohl schon in Josephines neuem Haus angelangt sein, so hofften wir. Ich befragte die Steine, doch ließen sie mich im Dunkeln über sein Befinden. Der Noyon wirkte besorgt und hatte seit einigen Tagen nur wenig gesprochen. So waren wir schweigend und in Zwiesprache mit den Ahnen den Rest unserer Reise angetreten.
Ich kannte Josephine durch meine Träume, doch ihr Haus vermochte ich mir nicht vorzustellen. Es erschien mir seltsam, mein Dasein in geschlossenen Räumen zu verbringen, wo doch die Weite der Natur und die Weisheit unserer Vorfahren immer gut für uns gesorgt hatten. So hing ich meinen Gedanken nach, während der Noyon sich am Feuer zu schaffen machte, das bald seine Wärme und etwas Licht verströmte. Der Schneesturm ließ nach, die Wolkendecke brach auf und durch die Baumwipfel waren einige Sterne zu sehen. Ich dankte im Stillen dem Winde, das er seine Wut nun ruhen ließ.
Nach einiger Zeit kam Friedrich zu uns. Sinuba folgte jedem seiner Schritte und sprang um ihn herum; ihre einfache Freude rührte mein Herz. Der Noyon begrüßte Friedrich auf die alte Weise und doch erschien er mir erleichtert, ihn wieder zu sehen. Friedrich ist kein Mann der vielen Worte. Er half uns, das Lager abzubrechen und wies uns die Richtung, die es einzuschlagen galt.
Ich erblickte Josephines Haus im beginnenden Morgengrauen. Gewaltig ragte es plötzlich hinter Bäumen hervor, als sei es immer an jener Stelle gewesen und auf eigentümliche Weise mit der Erde verwachsen.
Die Mauern, schwarz und bläulich schimmernd unter Eis waren teils mit Schnee bedeckt. Es erschien mir mehr eine Festung als ein Haus zu sein. Sie verströmte Kälte und wirkte im ersten Moment wie ein dunkles Tier, das mich zu verschlingen suchte. Zögernd blieb ich auf der Brücke, die unseren Weg mit der Feste verband, stehen. Still wandte ich mich an die Geister der großen Bäume, um ihren Rat zu ersuchen. Ihre knochigen Äste ragten wie die Arme alter Frauen in den morgendlichen Himmel, der sich langsam zu erhellen begann. In dieser stummen Geste lag also die Antwort auf meine Fragen. Ich würde nicht lange hier bleiben. Auf dem Hof herrschte bereits reges Treiben, so liefen Knechte und Mägde geschäftig zwischen der Feste, kleineren Häusern und riesigen Stallungen hin und her. Einige trugen Heuballen, andere Eimer mit Wasser. Ein schmächtiger Junge war zum Schneeschaufeln abgestellt worden und kämpfte sich einen Weg durch die eisigen Massen. Prustend und mit geröteten Wangen hielt er kurz inne als er uns kommen sah, um beim Anblick des Noyon verstört den Blick wieder auf den Schnee zu richten. Die anderen schienen so in ihre Arbeit vertieft, daß sie uns nicht sahen.
Das große Tor verschluckte uns schließlich und führte uns in eine düstere Halle, die mit spärlichem Lichte versehen war.
Hier stand sie nun, die neue Hausherrin. Mit stolzer Geste deutete sie auf die Wände, reichte uns eine Schale, wie es Brauch ist und hieß uns willkommen. Ich ergriff ihre Hand, um die Stimmen in mir zu besänftigen. Wie ein Blitz durchzuckte mich die erste Berührung meiner Schwester. Kühl durchzogen die Linien ihre Rechte und bebend verschmolzen die Finger mit dem Handesinneren. An diesem Übergang mochte all ihre Kraft liegen, so vermutete ich. Ihre Stärke lag in jener Hand. Ich sollte später erfahren, daß sie sie benutzte, um die Zügel ihrer Pferde zu halten, manchmal auch, um die Gerte über den Rücken eines unglückseligen Stalljungen schnellen zu lassen.
Josephines Augen wirkten erstarrt, wie mit Eis überzogene Flüsse. In ihren dunklen Tiefen verbargen sie Geheimnisse, die ich nicht zu erkennen vermochte. Sie wies uns eigene Zimmer in ihrem Haus zu. Ich staunte über den Platz, den eine Person allein hier bewohnen sollte und mußte gleichzeitig die Enge der Mauern um mich herum fühlen, die mir die Brust zuschnürte. Das riesige Bett in der Mitte des Raumes wirkte so bedrohlich auf mich, daß ich meine Felle und Decken ausbreitete um darauf zur Ruhe zu kommen. Ein Rauchopfer, so schien mir, würde diese Räume mit Erinnerungen an meine Heimat füllen und mir die verschlungenen Pfade der Zwischenwelt erleuchten, die ich nun einschlagen mußte…
Die Erde bebte unter mir, ich fühlte, wie unbändiges Leben meinen Körper bewegte und mich rasend schnell in weite Fernen trug. Geschmeidig und warm umgab es meine Beine, kraftstrotzend hob es mich in die Lüfte, um im nächsten Augenblick wieder den Kontakt mit der Erde zu suchen. Ich werde dich Dario nennen. Mit diesem Gedanken erwachte die Nacht in mir und ich fand den Weg zu den Stallungen, wo ich bereits von Josephine erwartet wurde, deren Rechte über den glatten Rücken eines Rappen strich… |
Mercurius |
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