Chroniken » Chroniken III. - Die Zeit des Rades: Berichte und Erlebnisse vom Hof der Nacht im Jahre 2006
2006.07.29 - Schattenlichter: Unter falscher Flagge
20.08.2006 - 11:22

Hei, was für ein Spaß! War darauf vorbereitet, in den Untiefen mediokrer Malerei zu schwelgen, fünftklassiges Versmaß und die betuliche Fleischbeschau einer Modepräsentation zu sehen und mich dabei splendibel zu amüsieren. Womit ich nicht gerechnet habe, war die Verteidigung der Kunst gegen die Barbarei eines selbsternannten Adels, des Gastrechtes gegen das Gewohnheitsrecht, der Freiheit gegen den harten Griff der Selbstgerechtigkeit.

Goodness gracious, ich bin laut geworden – was mir zuwider ist – und wenn es mir auch nicht gelungen sein mag, den Respekt gewisser älterer Herrschaften zu erringen, so haben sie mich auf jeden Fall wahrgenommen und werden mich nicht so schnell vergessen. Bisher habe ich mich offensichtlich zu sehr darauf verlassen, dass sie ihre eigenen Kreise drehen wie ich die meinen, und das alles gut sei, so lange jeder die territorialen Rechte des anderen respektiert. Nun, so wäre es wohl auch geblieben – hätten einige nicht entschlossen, ihre Spielchen in geradezu vollendeter Selbstgefälligkeit woanders hin zu verlegen.

Ein Kunstsalon ist ein Ort der Besinnung, der inneren Einkehr und der Reflektion, ein Tempel der Pflege der einzig wirklich würdigen Religion. Kunst, große Kunst, ist ewig – ewiger als jeder von uns, größer als jeder von uns. Wahre Unsterblichkeit ist keine Frage von Blut. Vampire sind keine Meister der Kreativität, sondern der Destruktivität, und wir erschaffen nur, indem wir zerstören.

Warum hat niemand Michelangelo zu einem Vampir gemacht? Oder Tschaikowsky? Oder Shakespeare? Und hätte ihre Schaffenskraft in ihrem Unleben erhalten werden können? Sterbliche schaffen auch aus ihrem eigenen Umgang mit dem Tod heraus Kunst, aus ihren Ängsten und ihrer Ungewissheit. Die Ewigkeit ist ihnen vielleicht oft eine ernüchternde Erkenntnis – eine öde Wüste, eine nie endenwollende Langeweile, in der das Dasein sich dreht wie ein Mühlrad, in immer dem gleichen Tempo und der Gewissheit, das alles zu seinem Ausgangsort zurückkehrt und wieder von Neuem beginnt. Wie dem auch sei, als Camilla den Salon des Arts unter die Schirmherrschaft unseres Hauses stellte, da ahnte ich noch nichts wirklich Böses. Ich rechnete mit vornehmlich den gleichen Besuchern wie gewöhnlich, die selbstverliebt durch die Räume gleiten und eloquent ihrem völligen Unverständnis von echtem, inspiriertem Schaffen Ausdruck verleihen würden, dabei nicht unbeträchtlich zu meiner Unterhaltung beitragend.

Tatsächlich war meine erste Überraschung die beinahe durchweg hohe Qualität des Gezeigten. Ich schlenderte also mit einigem Entzücken durch die Räumlichkeiten, bei der Gelegenheit einige Worte mit Lorenzo – der freilich rasch von anderer Seite okkupiert wurde - zu seinen Arbeiten wechselnd und ein angenehmes Gespräch mit Miß Mary von Haus Fox führend, das etwas an Qualität verlor, als sie mich mit einem Sterblichen bekannt machte, dessen durchweg degoutantes Interesse an Kunst sich lediglich in pekuniären Werten ausdrückte. Aus meiner nahezu lethargischen Duldsamkeit bei diesem Gespräch riß mich schließlich Asphyx, dessen Manieren – wie gewöhnlich – zu wünschen übrig ließen.

Ich sah mich genötigt, ihn zu maßregeln, ohne dabei zum Äußersten greifen zu müssen. Ich war nicht gewillt, die Subtilität der Kunst lauter Barbarei preiszugeben. Ich war auch nicht gewillt, sie gewissermaßen mit dem Narrenschiff Hardenberg auf die Reise zu schicken, denn bereits nach einem kurzen Treiben in sanfter Brise blies Kapitän von Kühn wie auf Kommando heftig in die Segel und verkündete vollen Halses die Absicht, zwei der moderat meuternden Besatzungsmitglieder ihres ohnehin anämisch besetzten trägen Kahns über die Planke zu schicken. Ich mache mir grundsätzlich wenig Gedanken darum, wohin ein Schiff segeln mag, dessen Kurs von jemandem bestimmt wird, der so verrückt ist wie ein Märzhase.

Aber in dieser Nacht hatte sie Anker in meinem Hafen geworfen, und es ist die Hafenmeisterei, die den Rhythmus der Abläufe bestimmt – oder aber den Verstoß ahndet. Camilla hatte wohl überdies an dem einen zum Plankengang bestimmten Matrosen – keinem geringeren als Lorenzo, dem Photographen – einen, nun, Narren gefressen und plante seine Errettung. In Anbetracht des Veranstaltungsortes, der mir als natürliches Sanktuarium für Künstler erschien, und der Schirmherrschaft durch Haus Magnus stimmte ich diesem Plan zu, hätte aber freilich gerne Lorenzos Anhängsel außen vor gelassen.

An ungefähr diesem Punkt nun mischte sich zu allem Überdruß Nekhrun in die Gespräche ein und gab seine Ansicht kund, Sophie von Kühn könne mit Ihren Erwählten tun, was sie wolle – ganz grundsätzlich ein unstrittiger Aspekt; nicht jedoch an diesem Ort, denke ich, und nicht, wenn das Opfer gleichzeitig der Gastgeber ist. Zu einem späteren Zeitpunkt wurde einmal argumentiert, dass Sterbliche überhaupt keine „Gastgeber“ für die Kinder der Nacht sein können (wobei offensichtlich nur auf die Tatsache abgestellt wurde, das hinter dem Salon kein Vampirhaus stand, denn Drago wurde vor kurzer Zeit noch sehr wohl als Gastgeber anerkannt und mit Gastgeschenken bedacht). Aber unter dieser Prämisse, die man durchaus konsequent vertreten kann, ist es auch unmöglich, ein Gast zu sein. Wäre Nekhrun also – wie Isidor – daheim geblieben und hätte lediglich seine Erwählten sozusagen als Qualifikationsnörgler gesandt (eine Funktion, die Rijksvogt für Haus Lucius übernahm), so wäre jene verbale Eskalation uns erspart geblieben, die ein lang anhaltendes Kreuzen rhetorischer Klingen zwischen vor allem Nekhrun – sekundiert von Frau von Kühn – und meiner Wenigkeit – sekundiert von Camilla Dubrac – zur Folge hatte, und der die meisten mehr oder minder ignoranten Sterblichen (und Vampire) weder willig, noch wirklich verstehend zu folgen in der Lage schienen. Ich selbst war überrascht, wie sehr Nekhrun die Urwaldtrommel des Konservativismus schlug, im Angesicht der Kunst, die doch nur in Freiheit wachsen und gedeihen kann. Wie konnte er unbewegt bleiben bei dem, was er sah, las, hörte? Wie kann er den Exzess preisen und gleichzeitig die Kunst in Ketten legen? Mit Asphyx, auf der Oberfläche ganz Barbar, habe ich gerechnet; von Sophie von Kühn, die das Fell innen trägt, den Ausfall stets erwartet, trotz ihres tränenreichen Einsatzes zur Errettung von Herrn von Veil (bei dem es, bedauerlicherweise, wohl nicht die Kunst ist, die es ihr besonders angetan hat).

Aber Nekhrun? In seinem Haus wird, dessen bin ich mir sicher, natürlich das alte Spiel von Unterwerfung und Erhebung, von Masochismus und Sadismus gespielt, so dass die Strukturen kaum etwas anderes sein können als die doppelt überzeichnete Parodie eines Herrscherhauses a la Lucius. Aber hier, jetzt … Es war offensichtlich, dass Nekhrun die Absicht hatte, den Sterblichen zumindest eine Lektion zu verpassen. Ich hätte es freilich bevorzugt, wenn er es bei sich zuhause getan hätte; aber vielleicht mag er weder Blut-, noch Schweißflecken auf heimischem Parkett …

Abgesehen von unserer so erbittert geführten Debatte, die die Atmosphäre erhitzte, die sensiblen Künstler wohl an den Rand ihrer nervlichen Belastbarkeit brachte und die wohl hoffentlich zu weitaus entspannteren Gesprächen auf rein diplomatischer Ebene führen wird, war der etwas unglückliche Höhepunkt und Abschluß der Soiree die Erschaffung von Lorenzo durch Camilla, und in Folge die seiner Geliebten durch Lorenzo … Ich hätte es grundsätzlich bevorzugt, die Tauglichkeit der Betreffenden zuvor zu prüfen. Nun ja: ich werde beide sorgfältig beobachten. Es schert mich wenig, den Unbill von Frau von Kühn und Haus Hardenberg erregt zu haben; es betrübt mich, mit Nekhrun in Streit geraten zu sein, doch war dies für die einzige Sache, für die zu Fechten lohnt, die Kunst; doch werde ich nicht zulassen, daß unser Haus verdorben wird durch eine faule Frucht in ihrem Inneren. De Lioncourt – möge sein Körper verrotten – ist fern. Eine ähnliche Kreatur werde ich jetzt und hier, wo ich meine Ruhe gefunden habe, nicht dulden.

Übrigens hat Asphyx sich gegen Ende der Soiree an Cay vergriffen, bevor Lothringus einschritt und ihn auf die Knie schickte. Zuviel Schlachtenlärm für meinen Geschmack, deutlich zuviel Schlachtenlärm für einen Abend. Aber auch einige interessante … Perspektiven. Ich glaube, ich werde einige Briefe versenden müssen …

(aus den Aufzeichnungen von Lawrence Edward Selwyn, Esq.)


Lawrence


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