Chroniken » Chroniken IV. - Die Zeit des Aeons: Bericht und Erlebnisse vom Hof der Nacht im Jahre 2007 |
2007.02.03 - VI. Akt: Crimen Vitae: Aufspiel zum letzten Tanze |
11.02.2007 - 18:47 |
Viele menschliche Kulturen haben über die Jahrhunderte hinweg wechselhaft ihren Blick auf die Natur des Vampirs gerichtet.
In ihren Augen erschienen wir als Kadaver, die sich verwesend aus Gräbern erhoben oder als lechzende Salonlöwen mit besonderer Vorliebe für die Reize des anderen – wie auch des eigenen – Geschlechts. Als melancholische Liebende zogen wir andere mit hinab ins Grab, als von der Hölle Gezeichnete erflehten wir göttliche Erlösung. Wir streiften durch Medizinalberichte und politische Essays (dem guten Voltaire haben wir zu verdanken, dass man Kapitalisten heute als „Vampire“ bezeichnet – eine Ungerechtigkeit unserer Art gegenüber, wie ich finde), durch bleischwere Balladen, epische Poeme und schäbige Schauerliteratur. Wir wurden unendlich häufig als Implikation missbraucht und von Symbolisten misshandelt.
Die schlimmste, möglicherweise entwürdigendste Behandlung wird uns freilich zuteil, seit sich Monsieur de Lioncourt der Dienste einer obskuren früheren Autorin pornographischer Literatur in New Orleans bedient und verbreiten lässt, er sei nicht nur der Gott der Vampire sondern überdies nichts weniger als ein gefallener Engel, der Heiligsprechung näher als dem Purgatorium. Für Hausfrauen auf der ganzen Welt sind unsere zärtlichen Hände, unser verführerischer Kuß, das Strahlen unserer makellosen Züge und die entwaffnende Unbedarftheit unseres Gemüts seitdem ein Ideal für Schlafzimmer und Herd geworden.
Machen wir uns nichts vor. Die meisten von uns riechen überhaupt nicht – wir transpirieren nicht, wir verwesen nicht. Mangelnde Körperhygiene – mangelnde Kleiderhygiene – ist die einzige Ursache für unästhetische Mißstände und eher eine Eigenheit von Mitgliedern des Hauses Khaan denn von Vampiren im Allgemeinen.
Den Älteren von uns mag bestenfalls der Ruch von Mottenkugeln anhaften; aber ich möchte lieber nicht anführen, was wir – mit unseren sensiblen Sinnen – mitunter an menschlichen Aromen zu erdulden haben. Das Melancholische an uns ist ein Gemütszustand, der nicht zuletzt der Tatsache zu verdanken ist, dass das Leben – so es eine Ewigkeit währt – nicht gänzlich frei von Langeweile sein kann. Die Vorstellung, der Himmel hieße größere Vergnügungen für uns bereit, kann nur die exzentrische Illusion weniger sein. Religiosität ist – nicht zuletzt in Anbetracht der Tatsache, dass unsere Lebensart fast als eine Parodie der christlichen Eucharistie erscheint - selten eines unserer hervorstechenden Merkmale. Hervorstechend. Das bringt mich auf diese praktische kleine dentale Einrichtung, die uns ermöglicht, weitgehend schmerzfrei das Blut unserer Wirte für sie weitgehend schmerzfrei zu trinken.
Wirte, ja. Ganz egal, was ein verquerer Romantiker sich auch denken mag, letztlich sind wir Parasiten, spezialisierte Lebewesen, die sich ausschließlich von einer einzigen Quelle ernähren, von menschlichem Blut. Parasiten sind wir natürlich nur aus menschlicher Sicht – so, wie der Mensch aus unserer Perspektive kaum mehr ist als Schlachtvieh. Das ist eine pragmatische Betrachtung, ausgesprochen von einem, der den Menschen näher steht als die meisten anderen seiner Art.
Ich mag Menschen, und ich schätze mitunter ihre Nähe, ihre Kreativität, ihre Lebensfreude und ihren Einfallsreichtum sehr. Aber das macht mich noch lange nicht zu einem Philanthropen.
Menschenliebe, Philanthropie, war jedoch ausgerechnet die Attitüde, mit der das gebeutelte kleine Halb-Haus Abbadon seit seiner Gründung kostbare Zeit verschwendet hat, und die Einladung zu ihrer Veranstaltung ließ den Aufruf nach „Menschenrechten“ in geradezu schreienden Farben aus jeder Pore triefen. Dem Vampir im Allgemeinen, sogar den weniger scharfsinnigen unserer Art, ist ein gewisser Sinn für Sarkasmus nicht abzusprechen; insofern ist es wenig überraschend, dass viele Häuser ihre Vertreter in jene abgelegene Kate entsandten, die Abbadon als Hospiz eingerichtet hat. Ein Hospiz im heutig gebräuchlichen Sinne ist eine Einrichtung zur Sterbebegleitung – freilich war so viel Sinn für Ironie von unseren Gastgebern schwerlich zu erwarten. Stattdessen versuchte AiDo aufrichtig, die unsterblichen und blutgierigen Besucher davon zu überzeugen, dass das Töten der Opfer ein unnötiger Vorgang sei.
Jüngere Vampire kicherten haltlos ob dieser eigenwilligen Theorie, während die älteren in beherrschter Ernsthaftigkeit und geheucheltem Verständnis die Köpfe schwer wiegten und dabei mit hungrigen Blicken den angeschwollenen Bauch der Geprägten Claire beäugten.
Zu meinen Prinzipien gehört nun, stets das Unerwartete zu erwarten. Hauptsächlich versprach ich mir von der törichten Prämisse einer Wohltätigkeitsveranstaltung reichlich Amusement, andererseits war mir daran gelegen, einige Kontakte nicht abreißen zu lassen. Außerdem hat sich in der Vergangenheit gezeigt, dass es vernünftig ist, einige meiner lieben Mit-Vampire wie auch ihre getreuen und nicht-so-getreuen Erwählten im Auge zu behalten.
Das abgelegene Hospiz gewährte zwar keinen wirklich komfortablen Zugang, war aber dafür weit genug von der sogenannten „menschlichen Zivilisation“ abgelegen, um die Möglichkeit vampirischer Raubzüge zu unterbinden oder aber nicht in Zusammenhang mit der Lokalität zu bringen – was möglicherweise die Absicht der Gastgeber war.
Die Wohltätigkeitsveranstaltung als solche fand in einem eher ungezwungenen Rahmen statt, der der Sterilität des Ortes beinahe Hohn sprach. Die anwesenden Erwählten waren jedoch ungewöhnlich gereizt. Einmal attackierte Drago einen völlig verblüfften Asphyx verbal mit ungeahnter Aggressivität und profitierte wohl von der Tatsache, dass Isidor, sein Herr und Meister, den vor Wut brodelnden Barbaren leise und nicht zuletzt deshalb um so eindringlicher daran erinnerte, wer Besitzanspruch anmeldet und eine körperliche Intervention nicht gutheißen wird. Asphyx trollte sich, das Gesicht vor Zorn gerötet, aber abgeschlagen – ein Anblick, der schon allein den Besuch der Abbadon-Chose zu einer lohnenswerten Angelegenheit machte.
Von Veil, ungewöhnlich mürrisch, beobachtete das Geschehen mit finsterem Blick, welcher sich nur dann lichtete, wenn er sich einer jungen Geprägten zuwandte, die offenbar zum ersten Male am Hof der Nacht gastierte und vor Furcht zitterte.
Ich zog einige Erkundigungen über die fremde Schöne ein – eine Britin, wie sich zeigte, Cara Talbot mit Namen – und fühlte mich dann bemüßigt, in Anbetracht des offensichtlichen Interesses von dritter Seite bei ihr vorstellig zu werden. Warnungen vor Asphyx und seinen Tischsitten sind üblicherweise unnötig, aber es war mir ein außerordentlicher Genuß, dem ewig um weitere Lustbarkeiten eifernden Vicente ein ums andere Mal die Suppe zu versalzen und in Gegenwart seiner eigenen Hausangehörigen zu demütigen.
Im Angesicht von Veils, dessen Kunst ich schätze, war es mir freilich nicht möglich, auf die Eigenarten des Hauses Hardenberg hinzuweisen. Zweifelsohne hätte er das als Kränkung empfunden – und, was mir noch ärger erschien, er hatte sich bei der jungen Dame bereits so kommod gemacht, dass meine Anmerkungen vielleicht als banale Eifersüchteleien auszulegen gewesen wären. Ich hörte inzwischen, dass sie nun bei Sophie gastiert. Ich glaube, ich werde einige vorsichtige Zeilen an sie richten. Man kann doch eine Landsmännin, zumal, wenn sie so unbedarft wie Carrolls Alice ist, nicht blinden Auges an der Tafel der Herzkönigin sitzen lassen.
Trotz der mutmaßlich entspannenden Gegenwart von Miß Talbot erhellte sich die Laune von Veils zu keiner Zeit. Auch er konfrontierte verschiedentlich Asphyx, der die Abwesenheit Sophie von Kühns nutzte, dem armen Toren den Ellenbogen zu brechen – ein vergleichsweise harmloser Preis für unbedachtes Handeln, aber auch ein schmerzhafter. Tat seiner Wirkung bei der fürsorglichen Dame freilich mit Sicherheit keinen Abbruch.
Ich führte einige sehr erfreuliche Gespräche mit Lothringus wie auch Mary und den anderen Anwesenden des Hauses Fox und hatte kurze und eher oberflächliche Konversation mit Nekhrun und Isidor (auch jener schlich wie eine Katze um Miß Talbot).
Es gab einen kurzen, unterhaltsamen Eklat im Asusenischen Hause, welcher dazu führte, dass eine von Vicentes Erwählten sich ausgerechnet Asphyx zuwandte. Der „Höhepunkt“ jedoch – wenn man es so bezeichnen kann – gehörte ganz dem Haus Abbadon, dessen umstrittener Status am Hofe der Nacht mit dem Untergang des Hauses sein formales Ende fand. Es wäre zu ermüdend, die genauen Umstände zu schildern; doch offenbar war Abbadon mit einem Fluch belegt, welcher in dieser Nacht aufgehoben wurde.
Diese Tatsache kostete Abbadon seine Existenz und seine Angehörigen ein Gutteil ihres Gedächtnisses. AiDo war derjenige, der noch am meisten Erinnerung behielt, doch Lucie und Angelina waren von geradezu kindlicher Hilflosigkeit und sich nicht einmal ihres vampirischen Zustandes bewusst. Ich hielt es für angemessen, Lucie in die Hände ihres Bruders Ansgar van Maris zu geben, bevor weitere Schritte entschieden werden können. Ob sie Obhut bei Haus Magnus finden kann, wird wohl von ihrer geistigen Verfassung abhängig sein.
Wenn nicht, dann steht Lothringus noch immer in dem Wort, das er ihr einst gegeben hat. Angelina in ihrer unaussprechlichen Naivität war offenbar ein leichtes Opfer für die klebrigen Fallstricke Vicentes, der sie an den Hof Nekhruns lud. AiDo – oder Jonathan Kean, wie er sich früher nannte, an seinen angenommenen Namen vermochte er sich selbst nicht zu erinnern – versucht momentan wohl für sich selbst den rechten Weg zu finden. Nun, er schien dazu eher in der Lage als die beiden Damen.
Der Hof der Nacht ist eines Hauses verlustig gegangen. Die Alten haben eine Sache weniger, an der sie sich reiben können. Aber es wäre gelogen, zu bestreiten, dass auch wir einer Sorge enthoben worden sind. Was geschah, geschah zur rechten Zeit. Still und stumm schließt sich der See über den Ruinen des Hauses … Abbadon. |
Lawrence |
gedruckt am Heute, 18:04 |
|
http://www.theater-der-vampire.de/include.php?path=content/content.php&contentid=724 |
|