 Haus Romanus - Das Haus der Zeit"Ist die eigene Person in Ordnung, so kommt die Familie in Ordnung; ist die Familie in Ordnung, so kommt der Staat in Ordnung; ist der Staat in Ordnung, so kommt die Welt in Ordnung."
(Lü Bu We)
Erwachen. Schatten der Erinnerung.
"Ich habe einen Tiger gesehen."
"Einen Tiger?"
"Ja... er war alt... sehr alt... er saß am Ufer des Kanals, betrachtete das Karnevalstreiben... niemand sonst sah ihn."
Er lächelt, dieses seltsame Lächeln das nichts verrät.
"Ein schönes Bild."
Erwachen. Schatten der Dämmerung.
Sie steht am Kanal, dort wo sie im Traum das Raubtier sah. Jetzt ist sie das Raubtier, immer noch eine seltsame Vorstellung. Eine Gruppe Menschen geht vorbei, in Kostümen und Masken, lachend, schwitzend. Der Geruch ist noch immer überwältigend für sie.
Das Wasser wirft das Licht der Feuerwerke zurück, der Rauch zieht über den Kanal; bunt schimmernd, als würde die Stadt ihre Lebenslust atmen. Er erinnert sie an den Londoner Nebel...
Ein Funke berührt die Wasseroberfläche. Sie schließt die Augen.
So fühlt es sich also an, wenn die Zeit still steht...
Sie lächelt, betrachtet die sterbenden Funken.
Zeit... ja... höchste Zeit... so vieles muss sich ändern...
Dann dreht sie sich um, kehrt ins Haus zurück. Es bleibt nicht viel zu tun, außer sich zu verabschieden. Und dann wird sie aufbrechen... bevor ein weiterer Funke verlischt.
Tick, Tack, Tick, Tack.
Immer weiter dreht sich das Rad, Runde um Runde wandern die Zeiger, ohne inne zu halten.
Was hat sie schon gesehen, wie viele Stunden hat sie schon gezählt? Und doch geht sie weiter, wird nie müde. Was ist es, dass sie am Laufen, dass das kleine Herz aus Metall in ihrem Inneren am Schlagen hält? Ist es die Sehnsucht nach der Zukunft, der Drang am Leben zu bleiben? Oder ist es einfach die Mechanik, die sie vorantreibt?
Wenn ihr Blick die Uhr berührt, huscht ein Lächeln über ihre Lippen; es ist eine Liebe, die sie und die kleine Uhr teilen. Die Liebe dazu, nicht stehen zu bleiben, auf dem Weg in die Zukunft.
Ab und an bleibt sie doch stehen, muss neue Kraft schöpfen, die kleine Uhr. Das sind die Momente, in denen auch sie innehält, zurücksehen kann, auf die verflossenen Stunden.
Doch Zeit zum Trauern bleibt nicht. Viel zu ungeduldig läuft sie weiter, zu groß ist die Gefahr abgehängt zu werden. Was nützt ewige Jugend, wenn man nicht jugendlich bleibt. Weitergehen, in neue Welten. Den Strom der Zeit zu neuen Ufern durchschwimmen.
Wir sind nicht alleine und müssen uns nicht fürchten vor dem, was kommt. Wenn wir uns treu bleiben, verändert nicht nur die Zeit uns, sondern wir verändern auch die Zeit. Unsere Augen hören nie auf zu funkeln, wie viele Jahre sie auch schon gesehen haben mögen. Unsere Natur, unser Ich, hört nie auf zu leuchten und in diesem Glanz gehen wir voran. Als Vorreiter einer Gesellschaft, der Licht fehlt und die daran erinnert werden muss, dass die Zeit weiterläuft.
Tick, Tack, Tick, Tack.
Sie werden es hören, sofern ihre Ohren nicht verstopft sind mit dem Staub der Zeit, den sie lieben und fürchten.
Tick, Tack, Tick, Tack.
Und wir halten die Zeit in den Händen...
 Aus dem Tagebuch eines Erwählten des Hauses Romanus:
Wieder bin ich hier, gehe durch die Stadt, genieße den Sonnenschein. Ich habe mich in ein Café gesetzt um diese Zeilen zu schreiben, beobachte den Menschenstrom der vorbeifließt. Manche stechen heraus, viele gehen unter. Früher hatte ich Angst davor, Angst mich mitreißen zu lassen, als eine von diesen vielen einsamen Seelen, die scheinbar nichts haben... aber ich habe etwas, etwas woran ich mich festhalten kann. Eine geheime Insel, die mich davor bewahrt, am Fuß des Wasserfalls zu zerschellen. Meine Familie... die ich mir immer gewünscht habe und sie ist so völlig anders als ich sie mir vorgestellt habe. Aber was macht das schon. Wir gehören und halten zusammen. Und das ist alles was zählt.
Kommt und seht durch meine Augen...
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