2006.03.15 - Tatjanas Brief an Gabriel |
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Hallo Gabriel,
es tut mir leid, dass Du so lange auf Deinen Bericht ... auf meinen Brief warten musstest.
Aber allein die Vorstellung, der Gedanke an Dich machte es mir unmöglich zu schreiben.
Ich sehe Dich. wie Du am frühen Nachmittag in einem Café sitzt, über Deinem Notebook brütend; eine Tasse dampfenden Kaffees steht neben dem Computer auf dem schmalen Tisch, Du bist zu sehr in deinen Text vertieft - das Getränk wird kalt.
Die ersten wirklich warmen Sonnenstrahlen des Jahres schmuggeln sich durch das dunkle Fensterglas, verfangen sich in den Mänteln der Hereinkommenden.
Ich kann sie spüren, weißt Du?
Nachts ist es noch immer kalt - unverändert, aber der Asphalt riecht nach Sonne.
Das Bacchanal.
Wie lange ist es her? Zwei, drei Wochen?
Tiefster Winter.
Ich erinnere mich an den Morgen nach dem Fest.
Den frischen Schnee, der den betonierten Parkplatz verdeckt.
Das bläuliche Dämmerlicht, das - vom Schnee reflektiert - den grauer Wolkenkratzerreihen einen märchenhaften Schein verleiht.
Märchenhafte Schönheit - eine Illusion.
Du erwartest einen Bericht.
Eine detaillierte Beschreibung des Bacchanals, der Gäste, Camillas Handeln.
Ich kann sie Dir nicht geben.
Nein, ich will sie Dir nicht geben!
Ich will nicht darüber reden.
Eins noch: für Camilla bestand keine Gefahr, keine die ich bemerkt habe - mach Dir keine Sorgen ihretwillen.
Die Gefahr für Sterbliche war hingegen nie größer - sie tat gut daran, Dich nicht mitzunehmen.
Ich stand auf dem Dach eines dieser Hochhäuser. An diesem Morgen, meine ich.
Ich konnte mich nicht rühren - versuchte dieses Licht zu begreifen.
Dann brach der Tag an.
Erst hörst du es: Menschen stehen in ihren Wohnungen auf, leise, um ihre Mitbewohner nicht zu wecken.
Das Rauschen der Duschen. Wasserkocher.
Die ersten Autos ... Züge …
Dann riechst Du es.
Und dann ... dann fühlst Du es: ein leichtes Kribbeln erfasst Deinen Körper.
Wird stärker.
Angst steigt in Dir auf.
Der Wunsch nach Flucht.
Panik.
Ich dachte: Jetzt muss er vergehen. Dieser Zauber. Jetzt muss er brechen.
Aber das tat er nicht - das blaue Licht war noch immer da, dämmte die Geräusche, verdeckte die kleinen Gestalten unten auf der Straße.
Auf dem Parkplatz.
Und dann.. einige wenige Augenblicke wollte ich nichts anderes als hier zu stehen.
Bis die Sonne aufgeht.
Und sehen, ob sie in der Lage ist, dieses verdammte Licht zu zerstören.
Dann ging ich.
T.A. |
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Datum: |
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17.03.2006 |
Autor: |
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Tatjana Achmatova |
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