Las Vegas, im September 2000
Der Tag neigte sich dem Ende zu und die letzten Sonnenstrahlen wichen dem fahlen Mondlicht. Die Müdigkeit, die sich am Tage über die Glieder des Vampirs gelegt hatte, verflog mit jeder Minute der anrückenden Nacht. Vlavius schlug die Augen auf.
Da er keine Vibrationen des Sarges spürte und Chantal vor Beginn der Autofahrt erwähnte, dass sie ungefähr 12 Stunden unterwegs sein würden, wusste er, dass er sich nicht mehr im Laderaum des Wagens befand.
Er entriegelte den Sarg, drückte den Deckel nach oben und erhob sich, ehe er sich umsah. Er befand sich in der Mitte eines großen Raumes, der mit edlen Stoffen und Möbeln ausgestattet war. Auf einem kleinen Tisch neben dem Sarg lag ein goldener Umschlag, in dem sich, wie Vlavius wusste, ein Gedicht von Chantal befand. Er nahm den Umschlag in die Hände, öffnete ihn, nahm das Papier heraus und las.
"Seit Jahren wandle ich nun schon hier umher, bin tot vor den Augen der Welt, doch noch pulsiert Leben in mir, der Saft des Lebens mir noch nicht ausgesaugt.
Ich träumte letzte Nacht davon, wie ich starb in den Armen des dunklen Tänzers, ein wirbelnder Sturm aus Gefühlen brach herein, Angst und Trauer, Freude und Lust.
Ich träumte letzte Nacht davon, wie es endete in den Armen des dunklen Fürsten, meine Augen schlossen sich für immer und der Tod stahl mir meine Seele.
Ich träumte letzte Nacht davon, wie ich verloren ging im Kampf um mein Leben. Meine Seele ging hinfort und nur der Körper blieb, Angst gepaart mit Dunkelheit!
So hilf mir doch mein dunkler Herr!!!
Und plötzlich kam das Licht hervor, die Sonne stahl sich durch die Fenster.. und ich erwachte aus meinem Traum.
Und jetzt stehe ich hier, bin bereit! Ich stehe hier um zu sterben, doch werde ich nicht vergehen, denn ich werde wieder erwachen, dies ist meine Bestimmung."
Mit einem genügsamen Lächeln legte er das Papier wieder auf den Tisch und wandelte in der großen Suite umher um seine Erwählte zu finden. Chantal war nicht anwesend. Neugierig ging Vlavius auf das Panoramafenster zu und zog die schweren Vorhänge zur Seite, die das Fenster noch verdunkelten.
Mit einem Aufschrei sprang er zurück, riss die Arme schützend vor seine Augen um dem grellen Licht, dass ihn blendete, zu entkommen.
Blinkende Neonröhren tauchten das Zimmer von einer Sekunde in die nächste in ein buntes Farbenmeer und gleißend helle Farben der umliegenden Werbeschilder fluteten den Raum.
Er konnte nur einen Gedanken hegen. Chantal hatte es irgendwie geschafft, ihn während des Tages aus seinem Schlaf zu reißen um ihn in den lodernden Flammen der Sonne zu verbrennen.
In diesem Moment sprang die Tür zur Suite auf und Vlavius konnte Schritte vernehmen, ehe er eine Hand auf seiner Schulter spürte. Er blickte auf und sah in das erstaunte und sorgenvolle Gesicht Chantals. In einer fließenden Bewegung packte er sie am Hals, drückte sie zu Boden und entblößte seine Fangzähne, während Chantal unter ihm erschrocken aufkeuchte. "Undankbares Ding.... ich wollte dir das Geschenk der Unsterblichkeit machen und du setzt mich dem grellen Licht der Sonne aus! Du wirst mit mir gehen!"
Er blickte in zwei angstvoll aufgerissene Augen und leise flüsternd, keuchend, brachte Chantal die Worte hervor: "Es... ist.. Nacht... Vlavius... künstliches... Licht... keine... Sonne..." Vlavius rang um Beherrschung, ein Gedanke keimte in ihm auf: Wenn es tatsächlich Sonnenlicht war, so müsste sein Körper schon längst zu Asche verbrannt sein. Langsam lockerte er den Griff um Chantals Kehle, was sie ihm mit einem tiefen Einatmen dankte, ließ von ihr ab und suchte Schutz vor dem Licht hinter seinem Sarg. "Was ist das für ein Teufelswerk, dass die Nacht heller strahlen lässt, als den Tag?"
Seine Erwählte erhob sich, rieb sich die Kehle, ging zu dem Fenster und zog die Vorhänge wieder zu.
"Künstliches Licht. Neonröhren, die so grell leuchten, dass es einem in den Augen schmerzt. Das ist Las Vegas. Bunt und Grell. Es ist nicht viel anders als das Licht, was dieses Zimmer hier erhellt...", dabei knipste sie das Licht im Zimmer an. "Nur eben sehr viel heller."
Vlavius starrte auf den Kronleuchter, der das Zimmer in ein sanftes Licht tauchte. "Es ist nur künstliches Licht, es verbrennt dich nicht." Chantal blickte ihn beruhigend und sanftmütig an, doch der Vampir wandte seine Augen nicht ab, starrte in das Licht des Kronleuchters und war unfähig sich zu bewegen.
Seine Erwählte ging schließlich zu ihm und strich ihm vorsichtig über die Schulter, Vlavius zuckte zurück, seine blutunterlaufenden Augen fixierten Chantal. "Lass mich allein!", fauchte er und entblößte dabei wieder seine Fangzähne.
Chantal schrak leicht zusammen, knickste dann und ging aus dem Zimmer hinaus. Als sich die Tür schloss, entspannte Vlavius sich ein wenig und gab sich der Flut aus Gedanken hin, die auf ihn einstürzten.
Warum hatte Chantal ihn hierher gebracht...? Verhöhnte sie ihn? Wie konnten Lampen so hell brennen? Welchem Zweck diente es, die Schönheit der Nacht durch solch grelle Lichter zu zerstören? ....
In den darauffolgenden Nächten zog er die Einsamkeit vor, wagte nur dann und wann, wenn der Hunger ihn übermannte, zum Fenster herüber zu gehen und einen Blick hinter den Vorhang zu werfen. Gewöhnen konnte er sich nie an solche Teufeleien, soviel stand fest, doch ihm war bewusst, dass er früher oder später die Abgeschiedenheit seines Zimmers verlassen musste um zu trinken.
Als er am vierten Abend erwachte, fand er Chantal im Wohnzimmer vor, ein Buch lesend. Seine Augen glitten über ihre dunklen Haare, die zarte Haut ihrer Wangen, herunter zu ihrem Hals. Je länger sein Blick an dieser Stelle verharrte, desto stärker konnte er das Pochen ihrer Halsschlagader wahrnehmen und immer lauter dröhnte das Rauschen ihres Blutes in seinem Kopf. Er musste trinken oder es würde seine eigene Erwählte sein, die seinen Hunger stillen und mit ihrem Tod bezahlen würde. "Führ mich nach draußen..", raunte er, während er sichtlichst darum kämpfte, nicht die Beherrschung zu verlieren. Chantal blickte auf und schwang sich sogleich auf, nahm ihn bei der Hand und führte ihn zur Tür. Vlavius ließ sie gewähren, obwohl die Berührung ihrer warmen Hand seine, nur zu einem Zweck dienenden, Fangzähne unwillkürlich ausfahren ließ. Schnellen Schrittes zog seine Erwählte ihn über den Flur zum Aufzug und stieg mit ihm ein. Der Page, der den Aufzug bediente, lächelte die beiden freundlich an und die Türen schlossen sich.
Es war nicht der richtige Ort um seinen Durst zu stillen, doch der Hunger brannte förmlich in ihm, dieser Jüngling, der den Aufzug bediente, stellte eine verlockende Versuchung dar und auch Chantal musste dies gespürt haben, denn sie drängte Vlavius gegen die Wand des Aufzuges, schlang die Arme um seinen Hals und legte ihren Kopf an seine Schulter. Sie bot ihm ihre eigene Kehle dar, in der stillen Hoffnung, dass ihre Bindung stark genug war um ihn davon abzuhalten, seinen Gelüsten nachzugeben. Vlavius stöhnte auf, der Geruch ihres Blutes machte ihn schier wahnsinnig und mit letzter Kraft gelang es ihm, sich unter Kontrolle zu halten. Endlich hielt der Aufzug und die Türen öffneten sich. Chantal löste sich von ihm und zog ihn schnellen Schrittes hinter sich her nach draußen.
Als sie die Lobby des Hotels verließen stürzte eine Flut von ungeahnten Sinneseindrücken auf den Vampir ein. Er taumelte und seine Hände verkrampften sich derart, dass er Chantal fast den Handrücken brach.
Hunderte von Menschen kreuzten sein Blickfeld, tausende verschiedene Gerüche überdeckten den Geruch des Blutes, den er eben noch wahrgenommen hatte, der Lärm der Straßen übertönte das Rauschen des Blutes und die Lichter der Stadt blendeten seine an, die im Hotelzimmer herrschende, Dunkelheit gewöhnten Augen.
Unfähig Kontrolle über seine Sinne zu erlangen, hielt er sich an dem einzig Vertrauten fest, dass sich ihm darbot. Chantal führte ihn bei der Hand in eine ruhige Seitengasse. Sie hatte die Umgebung des Hotels in den letzten Nächten ausreichend erkundet und wusste, dass ihr Mentor hier unbeobachtet seinen Durst stillen konnte.
Dieser beruhigte sich nach geraumer Zeit und Chantal deutete auf den Hintereingang der Küche des Hotels, wo gerade ein Küchengehilfe den Müll austrug.
Vlavius stürzte sich auf jenen und gab sich dem Rausch des Blutes, dass in seinen Körper überging, hin.... |