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Über die Angehörigen der Familie |
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Der Freiherr von Hardenberg strich sanft mit der linken Hand über das mit Intarsien verzierte, seidig schimmernde Rosenholz des Sideboards.
Er stand sicher bereits eine halbe Stunde im Nähzimmer Sophies, unschlüssig, was ihn dazu bewogen hatte herzukommen. In einer ungewissen Laune hatte er die Bibliothek verlassen, die Folianten, die ihm die gewünschten Antworten seit Jahrhunderten verweigerten, unwirsch beiseite gelegt und war durch das Haus gewandert. Argus trat ihm in der Eingangshalle entgegen, den Blick auf eines dieser modernen Dinge gehaftet, die jederzeit unvermutet Lärm und Unruhe stiften konnten, wenn sie mit schrillem Ton die Aufmerksamkeit ihres Besitzers verlangten oder, schlimmer noch, ferne Stimmen an dessen Ohr trugen. Er hatte dem jungen Vampir ein knappes Nicken vergönnt und mit Befriedigung festgestellt, dass sich die Züge Argus fast augenblicklich verhärteten und ein entschlossener Ausdruck in seine Augen trat. Die Wandlung, die Sophies Zögling in letzter Zeit durchzumachen schien, ließ ihn deutlich an Kontur gewinnen, und Friedrich glaubte bisweilen sogar, in ihm die ersten Zeichen jener unerlässlichen Distanz zu den Gewohnheiten der menschlichen Phylogenese ausmachen zu können, die die Eigentümlichkeiten seines Hauses erforderten.
Des Freiherrn Blick ruhte unverwandt auf einem Blatt Papier, das, scheinbar achtlos auf einem nahen Tisch abgelegt, die Handschrift Lyras aufwies. Dieses jüngste Kind seiner Familie hatte sich unlängst vermählt, und Michael, der Bräutigam, hatte den Eid abgelegt, der ihn forthin zu einem Teil des Hauses Hardenberg machte, ihm die blutigen Bande des familiären Erbes um Körper und Geist schlang, die seine Seele auf immerdar mit dem Schicksal Hardenbergs verbanden. Langsam ließ Hardenberg die Hand sinken und trat an den Tisch. Das Papier war neuester Machart und die Zeilen offenbar mit einem dieser federlosen Schreibgeräte verfasst, es konnte also kein wichtiges Dokument sein, dennoch weckte es seine Neugier. Ein erstes Überfliegen des Textes ließ Friedrich zu dem Schluss kommen, es müsse sich um eine schriftstellerische Übung handeln, eine rhapsodische Kurzform autobiographischen Inhalts, und entschloss sich zu einer eingehenderen Musterung. Er las:
"Auf den Ruinen einer geschleiften Burg lässt sich ganz leicht, mit viel Liebe, hart erarbeiteter Ignoranz und einer Prise Selbstbetrug ein neues Heim erstellen. Hand in Hand mit Michael schwebte sie auf einer rosa Wolke aus Naivität ihrem neuen Leben entgegen. Naivität, die sie eigenhändig aus ihrem Körper schnitt... Eine blutüberströmte Braut hat zwei Vorteile: Jeder sieht das vermeintliche Opfer, das sie bringt, und es führt die Gäste in Versuchung... Ihr kleiner Triumph! Niemand versuchte auch nur, sie anzufassen, der Respekt vor ihr, dem Haus und dem Gastrecht, ließ sie ihre Triebe unterdrücken. Beeindruckend!
Bis hierher, sagte sie sich, war es ein langer und steiniger Weg gewesen, den sie aber nun endlich hinter sich gelassen hatte. Und im Vorgarten ihres neuen Lebens tat sie etwas, dass in jeder Geschichte hart bestraft wurde. Sie blickte zurück.
Hinter ihr lag, im Dunkeln harrend, kaum zu erkennen, eine Reise voller Untaten, Verzweiflung und Tränen... Ihr kam es vor, als müsse das alles eine Ewigkeit her sein, wie lang hatte sie mit ihrem Schicksal gehadert, bis sie endlich bereit war, das offensichtliche anzuerkennen?
Sie war immer so stolz gewesen, hatten doch alle immer betont, wie viel Potenzial sie besaß, wie zufrieden sie mit ihrer Entwicklung waren... Aber bis zuletzt war ihr nicht aufgefallen WER diese Komplimente so großmütig verteilte... Nüchtern betrachtet waren es nämlich immer Vampire gewesen, vielleicht hätte sie es aufhalten können, wäre sie nicht so verblendet gewesen...
Über vier Jahre hatte diese Metamorphose gedauert, nicht, dass sie jetzt abgeschlossen wäre, aber sie behauptete das so gerne. Ja, endlich war sie am Ziel, sie hatte ihren geliebten Michael heiraten können, Saskia... nein, Nairu war wieder bei ihr, Argus schien zur Vernunft gekommen und Sophie war zurück! Es wäre perfekt, so wie sie es geplant hatte, wäre da nicht ein aber...
Aber ein altes Gemäuer, auch wenn es restauriert wurde, hat manchmal die Angewohnheit, böse Geister zu beherbergen. Geister die trotz der Tatsache, dass sie kaum zwei Jahre fort waren, schon fast in Vergessenheit geraten waren...
Die Eingangshalle verwüstet, die Jukebox zerstört, die Vorhänge heruntergerissen, so dass das Licht der Sonne sich verräterisch in den kleinen Blutpfützen bricht. Die Tür zu Sophies Zimmer steht auf, Argus wacht in dem Sessel neben ihrem Bett.
Sophie kommt die Treppe herunter, wie anders sie aussieht in dem schwarzen Kleid, sie spricht.
"Ja ein neues Kapitel beginnt!"
ER ist fort.
Michael liest einen liebevoll geschriebenen Schwur, seine Art, den Bluteid zu leisten. Daniel lässt sich erwählen, er hat in den letzten Nächten die andere Seite des Hauses Hardenberg kennen gelernt, er zittert vor Angst. Ihm ist nicht wirklich wohl bei dieser endgültigen Entscheidung. Gregor taucht auf, seine gehässige Aura schwillt lange vor seinem Erscheinen im Raum umher, die letzten Nächte kommen ihr in den Sinn. Sie hatte sich unwohl gefühlt, als würde sie beobachtet, und wenn sie es nicht besser wüsste, so würde sie behaupten, dass die Schatten... tiefer, anders geworden waren, nicht das bloße Fehlen von Licht. Ja, kälter war es geworden, so wie kurz bevor Gregor oder eine andere... Seele auftaucht...
Die Tür öffnet sich und plötzlich herrscht Stille.
ER ist zurück."
Friedrich von Hardenberg ließ das Papier auf den Tisch zurückgleiten. Warum nur schrieb niemand mehr in jambischen Versen? Die seelische Erschütterung, die die Autorin zweifellos zur Quelle ihres Schreibens erhoben hatte, verlangte geradezu nach der deklamatorischen Gewalt der homerischen Dichtung. Dennoch hallten die letzten Zeilen des Textes in seinem Geist wider, der inhaltliche Bezug war mehr als offensichtlich. Er war zurück, ja, und die Schatten würden tiefer werden, als das Kind es sich vorzustellen erlaubte. Dunkelheit in ihrer wesentlichen Erscheinung ist nicht die Abwesenheit von Licht, sondern dessen Umkehrung, jenes strahlende Leuchten, dessen Essenz das Blut seiner Familie erglühen lässt. Es war an der Zeit, einige Angelegenheiten ihren Anfang nehmen zu lassen.
Der Freiherr strich eine Strähne seines Haars über die Schulter und wandte sich um. Sophie war leise und unbemerkt auf die Schwelle des Raumes getreten und stand, ihren hübschen Kopf leicht hochgereckt, im Türrahmen. Ein kaltes Lächeln legte sich um den Mund Friedrichs. Seine Verlobte quittierte es mit fragend hochgezogenen Brauen.
"Du interessierst Dich für meine Handarbeit?"
"Nichts an Dir könnte versäumen, mein Interesse zu wecken, meine Liebe."
Das Fräulein von Kühn trat einen halben Schritt zur Seite, und mit einer Geste ihres Arms lud sie ihn zum Gehen.
"Dann wirst Du sicherlich mit Freuden meine neueste Errungenschaft bewundern. Sie steht im Salon und ist einfach hinreißend!"
Hardenberg hielt inne und sah sie fragend an.
"Ist es eine neue…"
"...Spieluhr, genau!"
Sophie drehte sich mit einem strahlenden Lächeln auf den Lippen um ihre Achse und ließ ihre Röcke rauschen, während ein gequälter Laut aus Friedrichs Kehle drang. Er fing ihren Arm und zog sie zu sich heran.
"Hat das nicht Zeit bis zum nächsten Vollmond? Es gibt Wichtigeres zu tun, wie Du weißt."
Mit kühler Leichtigkeit hauchte sie ihm einen Kuss auf die Wange.
"Oh, für unseren Spaziergang im Park ist mir Deine Stimme Musik genug, Liebster."
Die beiden Ältesten verharrten mit gerade aufeinander gerichtetem Blick in ihrer Pose. Schließlich hob Hardenberg Sophies Gesicht mit einer sachten Bewegung seiner Hand und legte seine Stirn an die ihre.
"Alles zu seiner Zeit." |
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Datum: |
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30.06.2008 |
Autor: |
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lyra |
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Meinen Namen wage ich nicht zu nennen denn zu grausam wäre die Strafe, die mich erwarten würde, wenn bekannt wird, wer diesen vertraulichen Brief an die Öffentlichkeit trug.
Ich werde mich in nÃ...
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