"Duell: Förmliche Zeremonie, die der Aussöhnung zweier Feinde vorausgeht. Zur befriedigenden Ausführung ist große Geschicklichkeit vonnöten; bei unbeholfener Durchführung ergeben sich zuweilen überaus unerwartete und beklagenswerte Konsequenzen. Vor langer Zeit hat sogar einmal ein Mann bei einem Duell sein Leben verloren."
(Ambrose Bierce, Des Teufels Wörterbuch)
Ebenso wie in der Welt der Sterblichen gibt es auch am Hof der Nacht Konflikte, die so persönlich genommen werden, derart tiefgreifend oder ehrenrührig sind, daß sie jenseits der politischen Ebene gelöst werden müssen.
In der vampirischen Gesellschaft gibt es eine von alters her überlieferte Tradition solche Konflikte zu entscheiden, sei es nun zeitweilig oder permanent, - das Duell.
Der Ritus des vampirischen Duells hat zwei Erscheinungsformen:
1. Das "Königs-Spiel" (oder "Jeux des Rois")
Diese Form ist in ihrem Ablauf eher symbolisch und spielerisch angelegt, dennoch ist auch ein solches Duell immer eine sehr ernste Sache, die mitunter weitreichende Konsequenzen nach sich ziehen kann. Der Legende nach soll es sich dabei um eine uralte vampirische Tradition handeln, die in der Epoche der Renaissance, ganz im Geiste der Zeit - eine Wiederbelebung fand.
Zwei kurz zuvor aus langem Schlaf erwachte Älteste befehdeten sich um die Vorherrschaft einer ganzen Provinz auf die beide Anspruch erhoben. Die Ereignisse spitzten sich derart zu, daß eine Lösung gefunden werden mußte. Beide einigten sich, die Streitfrage im Rahmen einer Schachpartie zu klären.
In der dafür festgelegten Nacht trafen sich die beiden Kontrahenten mit ihrem ganzen Gefolge in einer prächtigen Halle, in deren Zentrum 64 marmorne Felder in den Boden eingelassen waren. Diese sollte der Ort der Entscheidung sein.
Jeder Älteste bestimmte 16 Personen aus seinem Gefolge und wies ihnen je nach Status und Charakter eine Spielposition auf dem Feld zu und kleidete sie nach Art der Spielfigur, die sie verkörpern sollten. Von zwei erhabenen Thronen aus lenkten die Ältesten ihre symbolischen Armeen in einer gewaltigen Schlacht gegeneinander, welche die ganze Nacht dauerte, bis einer den anderen bezwang. So entschieden sie gleichermaßen die Gebiets- als auch die Ehrenfrage, ohne daß ein einziger weiterer Blutstropfen floß.
Diese Legende verbreitete sich allmählich über den nächtlichen Hof in ganz Europa, später fast über die ganze Welt und fand seitdem immer mehr Nachahmer. Zunächst ausschließlich in dem starren Ritus, den die beiden Vorbilder gewählt hatten. Im Laufe der Jahrhunderte fächerte dieser Ritus jedoch immer mehr auf. Besonders als auch kleinere Häuser und einzelne Vampire nach einem ähnlichen Weg suchten, um Konflikte und Ehrenhändel beizulegen, ohne einander vernichten zu müssen.
Seither sind der Phantasie bei der konkreten Art des Königsspiels kaum noch Grenzen gesetzt. Dies kann weiterhin die traditionelle Form einer Schachpartie annehmen - mit realen Personen oder auch stilisiert auf einem Brett. Aber es kann beispielsweise auch ein Billardspiel, ein Sangeswettstreit, ein Lyrik-Duell, der Verzehr von verdorbenem Blut, die kunstvolle Folter eines Sterblichen oder ein Gladiatorenkampf zwischen zwei Erwählten sein.
Den Ehreneinsatz kann zum Beispiel die Duldung einer öffentlichen Schmähung, ein wertvoller Sterblicher, ein Besitztum, eine Einflußsphäre, ein kontrolliertes Territorium oder gar das Spiel um eine Verbannung oder eine Frist in Starre darstellen, je nach Wagemut der Kontrahenten und Schwere des Konfliktes.
Zum Prozedere der Herausforderung: Das Symbol der Herausforderung zu einem Königs-Spiel ist die Königsfigur aus einem Schachspiel an deren Fuß sich das persönliche Siegel des Vampirs befindet. Drückt ein Vampir einem anderen diese Königsfigur in die Hand, dient dies als demonstrierte Geste achtungsvoller Rivalität. Wirft er diese Figur jedoch jemandem vor die Füße, ist dies gemeinhin als deutliche Geste der Verachtung zu verstehen.
In jedem Fall fordert er sein Gegenüber zum öffentlichen Ehrenspiel heraus. Nimmt der Herausgeforderte diese Figur an, bzw. hebt er sie vom Boden auf, nimmt er auch die Herausforderung zum Königsspiel an. Es wird dann entweder persönlich, als Geste der Achtung, oder durch einen Sekundanten, als Geste der Verachtung, ein Ehreneinsatz und die konkrete Natur des Spieles ausgemacht.
Der Herausforderer schlägt einen Preis vor, der Herausgeforderte macht einen Vorschlag zur Wahl der 'Waffen' - beide Kontrahenten müssen sich aber über 'Preis' und 'Waffe', sowie den Zeitpunkt des Spiels einig sein.
2. Der Hadestanz
Der Hof der Nacht kennt jedoch auch eine dramatischere und endgültigere Form des Duells - einen Kampf auf Existenz und Vergehen, Vampir gegen Vampir, mit speziell präparierten blankgezogenen Waffen, den so genannten Hadestanz.
Obgleich der Hadestanz höchst selten Anwendung findet, blickt auch diese Form des Duells auf eine lange Tradition zurück und fußt ebenfalls auf einer Legende:
Zu einer Zeit vor der bekannten Geschichtsschreibung, da große Teile des nächtlichen antiken Griechenland unter dem Banner des Vampirkönigs Metros vereinigt waren, begab es sich, dass zwei Edle, Phedos und Axxos - einander bis aufs Blut bekriegten. Der Nachthimmel über ihnen schien nicht groß genug für sie beide zu sein.
Selbst zu sterblichen Tagen, als beide noch Geprägte von jeweils erhabener Exzellenz waren, allen überlegen und gleichwertig nur einander, erwuchsen Blutvergießen und Verderbnis wann immer sich ihre Wege kreuzten. Ob beim sportlichen Wettkampf, in der Liebe oder im Krieg, wo sie aufeinander trafen, folgten ihnen Leid, Tod und Elend für ihre Sippen und alle Umstehenden.
Ein glühenderer, verzehrenderer Hass, geboren aus ewiger Konkurrenz, gekeimt seit sterblichen Kindertagen, ward auf Erden nie gesehen. In ihrem Hass waren sie nicht zu zähmen, nicht zu kontrollieren, und als beide reicher an Jahren und mächtig geworden waren, drohte Metros Reich an ihrem Zwist zu zerbrechen.
Er mahnte die beiden zur Ruhe. Doch sie waren unfähig zu gehorchen. Er verurteilte beide mehrfach für Dekaden eingemauert zu werden. Doch ihr Streit entzündete sich immer von neuem. Schließlich verurteilte er beide zu einem Ende im Sonnenkerker.
Doch Gott Hades hatte ein wohlwollendes Auge geworfen auf die beiden, die ihm so reiche Ernte eingetragen hatten. So verfinsterte er für Tage die Himmel und rettete Phedos und Axxos vor dem Sonnentod.
Dann ließ Metros alle Weisen, Priester, Alchimisten und Magier seines Reiches zu sich rufen und befahl ihnen eine Lösung zu ersinnen. Man kam überein, daß soviel zerstörerische Kraft gegen den Willen der Götter nur voneinander selbst vernichtet werden könne und vollführte zu diesem Zwecke ein mitternächtliches Ritual.
Man führte die beiden Edlen ins Zentrum eines großen Amphitheaters und hackte dort beiden die Beine ab. Wobei die Alchimisten unter Aufbietung all ihrer geheimen Künste verhinderten, dass ihre abgetrennten Glieder zu Staub zerfielen. Anschließend schnitzten die Alchmisten aus ihren Schenkelknochen jeweils ein Dolchpaar - für jeden aus seinem eigenem Gebein.
Diese Dolche bestrich man, unter dem steten Gemurmel geheimer Formeln, mit dem Blut des jeweils anderen und ließ sie voreinander Aufstellung nehmen zum Zweikampf, nachdem ihre blutigen Stümpfe binnen kurzer Zeit wieder zu komplett intakten Beinen ausgeheilt waren.
Metros erhob sich auf der Ehrentribüne des Ampheons, dessen Ränge mit allen Vampiren des Reiches bevölkert waren - keiner schien das Spektakel versäumen zu wollen. Er gebot ihnen zu schweigen und sprach folgende Worte: "Seit jeher ringt ihr beiden darum, wer von euch den Reigen der Existenz besser zu tanzen versteht und zermalmt mit euren Schritten dabei alles um euch herum. Dafür liebt Hades euch. Darum soll ER nun entscheiden, wessen Tanz ihm wohler gefällt und seinen Favoriten zu sich nehmen. So tanzt denn nun ein letztes Mal vor unser aller Augen gegeneinander an, tanzt des Hades Tanz!"
So spielten die Trommeln dröhnend auf und Phedos und Axxos bekämpften einander zum letzten Male mit all dem Hass und all der Bitterkeit, die in ihrer Brust gegeneinander schlugen. In fanatischer Verbissenheit stachen sie aufeinander ein. Und tatsächlich, die Dolche aus ihrem Gebein, getränkt in ihrem Blute, beseelt von ihrem eigenen Hass, vermochten ihr unsterbliches Fleisch zu verwunden.
Auf dem Höhepunkt des Kampfes stießen beide zeitgleich ihre Dolche tief und mittig in das Herz des anderen und vergingen zu Staub, noch ehe ihre untoten Leiber auf dem Sandboden aufschlugen. Der Tanz war entschieden. Hades liebte beide gleich und nahm sie beide zu sich. Ihr Streit war entschieden, zumindest in dieser Welt, und am Hof der Nacht kehrte wieder Frieden ein.
So erzählt es zumindest die Legende und seitdem kennt der Hof der Nacht den Hadestanz. Die Legende ist weithin bekannt, aber nur wenige Vampire - selbst die Älteren - sind je wirklich Zeugen eines solchen Duells geworden. Hadestänze sind tatsächlich sehr selten, eine dramatische Ausnahmeerscheinung zur Konfliktbeilegung am Hof der Nacht.
Generell bekämpfen Vampire einander eher im Rahmen einer Reihe von Königsspielen. Wesen denen eine potentielle Ewigkeit der Langeweile bevorsteht, wissen zumeist den Unterhaltungswert und das sinnstiftende Moment eines würdigen Gegners zu schätzen - und hegen somit 'gute Feinde' beinahe ebenso sorgsam wie 'gute Freunde'.
Vampire bekämpfen einander nicht um zu vernichten, sondern in einem fortwährenden bittersüßen Spiel von Demütigung, Blamage und Verlust - einem schier endlosen Spiel von X mal X Runden, mit immer neuem Ausgang, ohne einen klaren Sieger, als einem ewigen Test der eigenen Raffinesse und Stärke. Sollte es tatsächlich zu einem Duell auf Existenz und Untergang kommen, macht dies unmißverständlich klar, daß ein epischer unauflöslicher Konflikt ohne Chance auf anderweitige Beilegung besteht, ganz im Sinne der Legende.
In einem solche Falle erklingt dann der unheilvolle Rhythmus des Hadestanzes und erschüttert mit seinem Dröhnen den Hof der Nacht! |